Der Primacy Effekt – Warum wir uns manche Informationen besser merken können als andere

Primacy Primaer Effekt

Wir konsumieren täglich mehr Informationen als wir aufnehmen können.

In Unmengen praseln sie nur so auf uns ein.

Deshalb mussten wir Menschen im Laufe unserer Entwicklung lernen, alle eingehenden Infos in Sekundenschnelle zu priorisieren und zu filtern. Wir mussten lernen zu unterscheiden: Was ist wichtig und was nicht?

Ein Phänomen, das uns genau dabei hilft ist der sogenannte Primacy Effekt.

Was ist der Primacy Effekt?

Der Primacy Effekt – auch Primär-Effekt oder Erster-Effekt – ist ein psychologisches Gedächtnisphänomen. Es besagt, dass wir uns jene Informationen am besten merken können, die wir zu Beginn erhalten.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Je länger die Informationsaufnahme dauert, desto weniger bleibt davon in unserem Gedächtnis hängen.

Im Gegensatz dazu besagt etwa der Recency Effekt⁺, dass wir uns jene Sachen am besten merken, die wir gegen Ende eines Gesprächs/eines Vortrages etc. hören.

Der erste Eindruck zählt, der letzte Eindruck bleibt.

Der Recency Effekt besagt, dass wir uns jene Informationen besonders gut merken, die wir am Ende eines Vortrags/eines Gesprächs/eines Buches/eine Filmes erfahren. Ein Widerspruch zum Primacy Effekt ist das nicht, denn: Der Primacy Effekt ist stärker als der Recency Effekt und kann von diesem nicht ausgehebelt werden. Beide wirken zusammen – bekannt als Primay-Recency-Effekt.

#1 Beispiel: Der Primacy Effekt in der Politik

Der Primacy Effekt ist in einer Vielzahl von Teilbereichen unseres Alltags zu beobachten. Jonathan GS Koppell von der Yale University und Jennifer A. Steen vom Boston College haben ihn Ende der 1990er-Jahre beispielsweise im Rahmen der Vorwahlen der US-Demokraten in New York City eindrucksvoll nachgewiesen. Sie zeigten, dass die Reihung der Kandidaten einen mehr als deutlichen Einfluss auf das Wahlergebnis hatte.

“[…] name-order effects in balloting from a study of the 1998 Democratic primary in New York City, in which the order of the candidates’ names was rotated by precinct. In 71 of 79 individual nominating contests, candidates received a greater proportion of the vote when listed first than when listed in any other position. In seven of those 71 contests the advantage to first position exceeded the winner’s margin of victory, suggesting that ballot position would have determined the election outcomes if one candidate had held the top spot in all precincts.” 1Koppell, J., & Steen, J. (2004). The Effects of Ballot Position on Election Outcomes. In: The Journal of Politics, 66 (1), 267-281. https://www.jstor.org/stable/10.1046/j.1468-2508.2004.00151.x


Kernaussage ist, dass die Reihenfolge der gelisteten Kandidaten von Wahlbezirk zu Wahlbezirk variierte. In 71 von 79 dieser Bezirke bekamen jene Kandidaten die meisten Stimmen, die ganz vorne auf der Liste zu finden waren. Dieser Umstand legte die Vermutung nahe, dass weder politische Eignung noch Sympathie die entscheidenden Kriterien bei der Wahlentscheidung spielten, sondern schlicht die Reihung der Kandidaten.

Wer hat den Primacy Effekt entdeckt?

Solomon Elliot Ash

Der Primacy Effekt wurde bereits 1946 vom Psychologen Solomon Asch nachgewiesen. Er verwendete dafür zwei inhaltlich identische Beschreibungen ein und derselben Person, änderte für beide Versuchsgruppen aber die Reihenfolge der Adjektive.

  • Gruppe 1: Die fiktive Person wurde als 1 neidisch, 2 stur, 3 kritisch, 4 impulsive, 5 fleißig und 6 intelligent beschrieben.
  • Gruppe 2: Die fiktive Person wurde als 6 intelligent, 5 fleißig, 4 impulsiv, 3 kritisch, 2 stur und 1 neidisch beschrieben.


Die Teilnehmer der Gruppe 2 stuften die Person als deutlich sympathischer ein, bei Gruppe 1 hielten sich die Sympathien eher in Grenzen. 

Weitere Forscher wie Bennet Bronson Murdock Jr. (1962) sowie Murray Glanzer und Anita Cunitz (1968) lieferten mit Listen-Experimenten weitere Hinweise. 2https://www.verywellmind.com/understanding-the-primacy-effect-4685243

Der Primacy Effekt ist somit seit mehreren Jahrzehnten gut erforscht.

Was bringt uns der Primacy Effekt?

Dass der Primacy Effekt existiert, steht außer Frage. Was er bewirkt, ist ebenso klar. Aber warum ist es so, dass wir uns früher erhaltene Informationen besser merken als alles, was in späterer Folge kommt? Warum bleiben uns die ersten 3-4 Punkte auf der Einkaufsliste besser in Erinnerung als alle weiteren?

  • Übung/Wiederholung: Üblicherweise lernen wir in einer Reihenfolge. Ohne geeignete Struktur überwältigt uns der Berg an Stoff, also arbeiten wir uns Schritt für Schritt weiter. Die ersten Punkte werden dabei schlicht öfter wiederholt als die späteren. Das Gehirn bekommt mehr Möglichkeiten zur Abspeicherung. Ich mache mir den Effekt übrigens zunutze, indem ich die Reihung der Themengebiete immer wieder verändere. Wenn der Ablauf an Tag 1 etwa A/B/C lautet, ändere ich ihn an Tag 2 auf B/C/A.
  • Lang- und Kurzzeitgedächtnis: Wir tendieren dazu, zuerst erhaltene Informationen im Langzeitgedächtnis abzuspeichern, gegen Ende wandern neue Informationen nur noch ins Kurzzeitgedächtnis.
  • Aufmerksamkeitsspanne: Unsere Aufmerksamkeit bleibt während eines Gesprächs, eines Vortrags oder schlicht im Alltag nicht konstant hoch. Sie steigt an und fällt ab – in Wellenbewegungen. Zu Beginn ist sie deutlich höher, weshalb es uns anfangs stets leichter fällt, Informationen dauerhaft abzuspeichern. Mehr über Aufmerksamkeit erfahren⁺.
Unterschiedliche Arten von Aufmerksamkeit 

Aufmerksamkeit ist nicht gleich Aufmerksamkeit. Tatsächlich gibt es unterschiedliche Arten davon. Eine kurze Vorstellung:

  • Kontinuierliche Aufmerksamkeit: Die ist dann gefragt, wenn es darum geht, sich lange zu konzentrieren und sich wiederholende Aufgaben auszuführen.
  • Selektive Aufmerksamkeit: Auch fokussierte Aufmerksamkeit genannt. Die Konzentration gilt lediglich bestimmten Teilaspekten einer Situation/einer Aufgabe. Irrelevante Informationen werden ausgeblendet.
  • Wechselhafte Aufmerksamkeit: Erlaubt den Wechsel zwischen unterschiedlichen Aufgaben sowie das Abrufen dazu notwendiger, eventuell ebenfalls unterschiedlicher kognitiver Fähigkeiten.

Entwickelt wurde dieses akademische Rahmenmodell von den beiden Wissenschaftlern McCay Moore Sohlberg und Catherine A. Mateer. 

#2 Beispiel: Der Primacy Effekt im Berufsalltag

In unserem Berufsalltag bekommen wir es immer wieder mit dem Primacy Effekt zu tun. Aktiv und passiv gleichermaßen. Beispielsweise als Vortragender oder Zuhörer. Oder im Rahmen eines Job-Interviews – als Bewerbender oder als Chef. Aber auch bei der Gestaltung deiner Website oder deiner Werbeanzeigen ist der Primacy Effekt unbedingt zu bedenken. Ich habe ein paar Tipps für dich, wie du dir den Primacy Effekt in beiden Situationen zum Vorteil machen kannst bzw. wie du negative Auswirkungen eliminierst.

  • Vortragssituation: Starte immer spektakulär! Stelle deine Kern-Aussage an den Anfang deines Vortrages. Damit holst du die Zuhörer sofort ab und vermittelst gleich zu Beginn, worum es dir geht. Die Zeit für weiterführende Informationen oder atmosphärische Elemente kommt später.
  • Vorstellungsgespräch: Versuche, einen Termin möglichst früh am Tag zu bekommen. Die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen ist noch hoch, der Kopf ist noch frei, der Arbeitstag hat noch keine Spuren hinterlassen. So hast du die besten Möglichkeiten, einen bleibenden und guten ersten Eindruck zu machen.
  • Conversion Rate: Der erste Eindruck hat nicht nur im zwischenmenschlichen Umgang eine wichtige Bedeutung. Auch in der Werbung ist Aufmerksamkeit ein rares Gut. Wer nicht sofort überzeugt, wird übersehen. Um über deine Website mehr Conversions zu generieren, ist der richtige Aufbau deshalb ungemein wichtig. Platziere positiv aufgeladene Inhalte prominent und bringe sie in den Vordergrund. Das gilt für Texte, Farben und Fotos gleichermaßen. Hat die Website einen guten ersten Eindruck gemacht und die Aufmerksamkeit des Kunden geweckt, steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Conversion.

Wo fallen wir dem Primacy Effekt zum Opfer und wie kann man ihm umgehen?

Auch wenn wir alle möglichst frei von Vorurteilen durchs Leben gehen möchten, sind die Erfolgsaussichten äußerst gering. Denn: Wir alle haben Vorurteile, klassifizieren Menschen anhand bestimmter Stereotypen. 

Das ist zunächst einmal nicht per se negativ. Die Angst vor dem Fremden ist beispielsweise evolutionär bedingt und bewahrte unsere Vorfahren vor vielen brenzligen Situationen. Schablonen helfen uns, uns im Alltag zurechtzufinden und Situationen schnell einordnen zu können. Entscheidend ist, wie wir mir diesen Stereotypen umgehen. Ob wir ihnen blind Glauben schenken oder ob wir sie immer wieder hinterfragen. 


Ein Tipp von mir: Die Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen inhärenten Stereotypen ist ein großer Baustein im Prozess der Selbstreflexion. Für meine persönliche Weiterentwicklung habe ich mich etwa für die Methode des Journaling entschieden. Dafür verwende ich meist ein sogenanntes Dankbarkeitstagebuch. Klingt zunächst womöglich unspektakulär, ja. Wer jedoch regelmäßig in sein Dankbarkeitstagebuch schreibt, ist nachweislich glücklicher und zufriedener.

In zwischenmenschlichen Begegnungen wiegt der erste Eindruck schwer. Ihn zu ändern, ist schwierig. Schuld daran sind unter anderem das Phänomen der Self-fulfilling Prophecy und der Halo-Effekt.

  • Self-fulfilling Prophecy: Wir erwarten von uns zunächst unbekannten Menschen aufgrund des ersten Eindrucks eine bestimmte Verhaltensweise. Ob die Grundeinstellung positiv oder negativ ist, spielt keine Rolle. Jede Handlung oder Aussage, die das von uns mittlerweile schubladisierte Gegenüber setzt bzw. tätigt, verstärkt unseren ersten Eindruck. Ein klassischer Fall von: „Ich hab’s ja immer schon gesagt!“
  • Halo-Effekt: Der Halo-Effekt besagt, dass jene Merkmale, die wir bei anderen Menschen zuerst wahrnehmen, alle anderen Eigenschaften überstrahlen und unsere Wahrnehmung verzerren. Seinen Namen hat er von der englischen Bezeichnung für Heiligenschein – die lautet nämlich „Halo“. Die zuerst wahrgenommenen Charakteristika überstrahlen den Rest der Persönlichkeit also wie ein Heiligenschein.

Diese beiden Phänomene allein zeigen schon ganz deutlich, wie sehr wir uns vom Primacy Effekt austricksen lassen. Auch wenn wir von uns selbst denken, besonders aufgeschlossen und offen zu sein, ist es doch in der Regel der erste Eindruck, der das weitere Schicksal einer Bekanntschaft besiegelt. Positiv sei angemerkt: Wer es schafft, über einen schlechten ersten Eindruck hinwegzusehen, wird oftmals angenehm überrascht und findet tiefergehende Freundschaften, als andere Menschen.

Weitere gute Quellen:

References[+]

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